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Von der Korrigendenanstalt zur Waldklinik Oerrel

Die wechselvolle Geschichte eines Hauses

Zunächst müssen wir wohl den Begriff Korrigendenanstalt erklären. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das die gebräuchliche Bezeichnung für eine „Besserungsanstalt“ (das lateinische corrigere bedeutet „gerade richten oder berichtigen“). Sie dienten zur Aufnahme von „Korrigenden“ (lat. = der zu bessernde Züchtling), wozu unter anderem „Vagabunden, Trunkenbolde, Arbeitsscheue und entlassene Strafgefangene“ gezählt wurden. Dabei ging es nicht um den Strafvollzug, sondern um die Erziehung und „sittliche Besserung“. Die „Korrigenden“ sollten an eine geordnete Lebensführung gewöhnt und zur Arbeit herangezogen werden.  
Quelle: Wikipedia – dort auch ausführlichere Informationen unter: Korrektionsanstalt – Wikipedia

Nun zu dem Gebäude in Oerrel, das vielen von uns eher als „Waldklink“ bekannt ist, aber ursprünglich als Korrigendenanstalt entstanden ist. Aus der im Niedersächsischen Landesarchiv in Hannover verwahrten Akte - NLA Hannover Hann. 150, Nr. 318 –, geht hervor, wann der Bau dieses Gebäudes beschlossen und die dafür erforderlichen Gelder bewilligt wurden. In dieser ab 1886 von der Provinzialverwaltung in Hannover unter Landarmen- und Korrigendenwesen / Korrektions- und Landarmenanstalt Wunstorf begonnenen  Akte des Provinziallandtages betreffend den Neubau von Gebäuden in Oerrel steht aber auch, dass es die Korrigendenanstalt in Oerrel schon vor der Errichtung des Gebäudes gab.  

Mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs dürfen wir aus dieser Akte Dokumente veröffentlichen.
Für alle hier mit der Quellenangabe ©  NLA Hannover Hann. 150, Nr. 318 versehenen Dokumente gilt daher:  

Dieses Archivgut ist Eigentum des Niedersächsischen Landesarchivs in Hannover. Ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Niedersächsischen Landesarchivs dürfen diese Abbildungen nicht gespeichert, reproduziert, archiviert, dupliziert, kopiert, verändert oder auf andere Weise genutzt werden.
Am 29. November 1886 wurde vom Provinzialausschuss beim Provinziallandtag eine Beschlussvorlage eingebracht, wonach beschlossen werden möge, auf dem Forsthofe zu Oerrel die Erbauung eines  Wohnhaus für die Aufseherfamilien der Wunstorfer Correctionsanstalt und eine Waldarbeiterwohnung nebst Nebengebäuden auf Kosten des Landarmenverbandes zu genehmigen und dafür 8200 Mark (…) zu bewilligen.

Aus dem Protokoll der 9. Sitzung des 20. Hannoverschen Provinziallandtages am 7. Dezember 1886 geht hervor, dass dieser Antrag – obwohl er nicht auf der Tagesordnung stand – verhandelt wurde.  Der Referent, Schatzrath Müller, teilte dem Landtag mit, dass von den bei der Erweiterung der Corrections- und Landarmenanstalt in Wunstorf eingesparten Mitteln ein Betrag in Höhe von 8.200 Mark zur Herstellung von Aufseher- und Waldarbeiterwohnungen auf dem Forsthofe zu Oerrel, welche als ein dringendes Bedürfnis schon lange empfunden sei, zu verwenden.

Zu dieser Zeit – 1886 - sind in der Korrigendenanstalt in Oerrel 100 Corrigenden untergebracht, die zur Bewältigung der Aufforstungsarbeiten herangezogen werden. Dafür sind sechs Aufseher notwendig, von denen drei zur Beaufsichtigung der im Gelände arbeitenden Corrigenden eingesetzt sind. Die anderen drei Aufseher werden für die Nachtwache oder dem Transport zum Bahnhof Brockhöfe benötigt. Wir erfahren, dass man damals von Oerrel aus 1 ½ Stunden bis zum Bahnhof Brockhöfe unterwegs war. Es geht leider nicht daraus hervor, ob damit die Strecke über die heutige B 71 oder mit der Waldbahn gemeint ist.

Die Aufseher sind bisher an verschiedenen Orten in Oerrel, nämlich in einer so bezeichneten „Beamtenbaracke“, in einem sehr baufälligen Haus der Forstverwaltung und in der Schule untergebracht. Das Schulhaus von 1886 steht heute noch an der B 71. Bei der erwähnten Wohnung in der Schule dürfte es sich nur um ein oder zwei Zimmer gehandelt haben, die der Aufseher dort nur solange nutzen konnte, wie der Lehrer noch nicht verheiratet war.

Die übrigen Aufseherwohnungen müssen in einem mangelhaften baulichen Zustand gewesen sein. Da die Wohnungen nur aus einem Zimmer und einem Schlafzimmer bestanden, waren sie für einen verheirateten Aufseher mit Frau und Kindern einfach zu klein.

Von den sechs in der Korrigendenanstalt beschäftigten Aufsehern wohnte einer gar nicht in Oerrel, sondern war in Brambostel untergebracht. Von dort war man nach Oerrel zu Fuß eine Stunde unterwegs. Der arme Kerl musste sich täglich morgens um 5:45 Uhr auf den Weg nach Oerrel zur Arbeit machen und spät abends ging es wieder zu Fuß zurück. Vor allem im Winter und bei schlechtem Wetter dürfte das kein Vergnügen gewesen sein.
Außerdem war so das Aufsichtspersonal nachts nie komplett in Oerrel vor Ort, falls mal ein Notfall eingetreten wäre. Alles Gründe dafür, dass ein dringender Bedarf für ein einfaches Gebäude mit vier Wohnungen bestand. Dem Antrag war ein Plan beigefügt, der in der Archivakte aber leider nicht enthalten ist. In dem neuen Gebäude sollen vier Wohnungen, bestehend aus einer Stube, zwei Kammern, Küche und einem Kellerraum entstehen.
Zum Bau des Gebäudes sollte Material aus verschiedenen abzubrechenden Gebäuden der Forstverwaltung genutzt werden.  Dadurch verlor zwar eine Waldarbeiterfamilie ihre Wohnung, für die aber eine neue Wohnung durch einen Anbau an das bestehende Forstarbeiterwohnhaus geschaffen werden sollte.

Dafür, dass die Forstverwaltung das vom Abriss der alten Gebäude stammende Material, wie Holz und Steine, zur Verfügung stellte, sollten die Kosten für den Anbau der Waldarbeiterwohung von der Korrigendenanstalt übernommen werden. Die Kosten des neu zu errichtenden Aufseherwohnhauses wurden einschließlich der für das Nebengebäude auf 6600 Mark und die Kosten für die anzubauende Waldarbeiterwohnung auf 1600 Mark veranschlagt.
Gegengerechnet wurden die Einsparungen für die bisher für vier Wohungen an die Forstverwaltung bzw. an den Oerreler Lehrer zu bezahlenden Mieten von je 72 Mark = 288 Mark.

Dem Antrag stimmte der Provinziallandtag ohne weitere Diskussion zu.  
Das Aufseherwohnhaus wurde daraufhin wie geplant dort gebaut, wo sich heute u. a. eine Arztpraxis an der Straße Zur Kleinen Oertze befindet. Auch als es die Korrigendenanstalt schon lange nicht mehr existierte, lebten in dem Haus weiterhin vier Familien.  Abgerissen wurde es Ende der 1970er Jahre.

Bei dem Forstarbeiterwohnhaus, an das die zusätzliche Waldarbeiterwohnung angebaut wurde, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das heute noch vorhandene Mehrfamilienhaus an der Kohlenbissener Straße Ecke Schweriner Straße. Auf dieses Haus gehen wir später noch ausführlicher ein. Doch zunächst befassen wir uns mit dem Bau des eigentlichen Gebäudes der Korrigendenanstalt.
Am 12. Dezember 1899 beantragte der Provinzialausschuss beim Provinziallandtag die Aufnahme einer Anleihe zur Finanzierung verschiedener Vorhaben. In der Drucksache Nr. 16 des 33. Hannoverschen Provinziallandtages sind unter der Ziffer VI. Korrektions- und Landarmenanstalt Wunstorf 50.000 Mark für einen Neubau der Gebäude der Anstaltsfiliale in Oerrel aufgeführt. Dieser Antrag wurde als erster Tagesordnungspunkt am 22. Februar 1900, vormittags um 10 Uhr, in der achten Sitzung des 33. Hannoverschen Provinziallandtages behandelt und von Schatzrath Bleßmann erläutert. Die Erläuterungen beschreiben, wie die Korrigendenanstalt in Oerrel vor 1900 aussah und wie es dort zuging.

Nachdem der Provinziallandtag beschlossen hatte, die Aufforstungen bei Oerrel-Lintzel auf eigene Kosten vorzunehmen, wurde in den Jahren 1878 bis 1881 die Filiale der Korrigendenanstalt Wunstorf in Oerrel eingerichtet. Dort wurden vorwiegend Korrigenden aus dem „Werkhause“ in Moringen zu den Aufforstungsarbeiten herangezogen, da das Haus in Moringen überfüllt war. Da habe die Verlegung von Korrigenden nach Oerrel sowohl für den Landesarmenverband als auch für die Provinzialforstverwaltung Vorteile gehabt. Dadurch gab es bei den Aufforstungen immer einen festen Stamm an Arbeitern.

Zuerst (= 1878) waren die Korrigenden in Oerrel in zwei alten mit Stroh gedeckten Stallgebäuden untergebracht gewesen. Etwas später, im Jahr 1879, wurde eine neue Baracke gebaut. In den folgenden Jahren wurden zwecks Schaffung von Wohnungen und Wirtschaftsgebäuden zwei neue Anstaltgebäude errichtet, wodurch insgesamt 150 Korrigenden untergebracht werden konnten.

Allerdings war die ganze Einrichtung nur als ein Provisorium angelegt worden, da man davon ausging, dass die Korrigenden nur etwa fünf bis zehn Jahre für die Aufforstungsarbeiten in Oerrel gebraucht würden. Tatsächlich hatten die Aufforstungen mittlerweile einen größeren Umfang angenommen und die Forstanlage Oerrel-Lintzel  umfasste mittlerweile fast 19.000 Morgen (= 47,5 km²). Die ursprünglich nur für zehn Jahre vorgesehenen Baracken wurden nun schon seit 20 Jahren benutzt, so dass deren baulicher Zustand sehr bedenklich war. Reparaturen waren mittlerweile  unzweckmäßig, da die vorhandenen Strohdächer aufgrund der leichten Holzwände nicht durch schwerere Ziegeldächer ersetzt werden konnten. Daher war ein Neubau dringend notwendig, auch um die Brandgefahr zu verringern.

Zu dieser Zeit (1900) bestand die Absicht, dass 80 bis 100 Korrigenden dauerhaft in Oerrel bleiben sollen, um für die fortlaufenden Arbeiten in der Forstanlage Oerrel-Lintzel zur Verfügung zu stehen. Der Verbleib der Korrigendenanstalt in Oerrel wurde aber auch von Seiten der Korrigendenverwaltung gewünscht, da die schwere und im Freien auszuführende Arbeit in der Forst von bestem Erfolge sei, um die Korrigenden wieder zur Arbeit zu erziehen.

Der geplante Neubau soll die provisorisch errichteten Gebäude ersetzen und eine dauerhafte Benutzung ermöglichen. Während das Gebäude massiv errichtet und mit einem Ziegeldach versehen sein soll, sollte die Ausstattung nur auf das Notwendigste beschränkt werden. Daher waren im massiven Gebäude zunächst nur die Schlafräume und die dazugehörigen Wirtschaftsräume vorgesehen. Die in den Baracken bestehenden Tagesräume sollten dagegen weiterhin genutzt werden. Die Neubauten sollen aber so errichtet werden, dass später ein Flügel mit den Tagesräumen hinzugefügt werden kann, so dass alles in einem Gebäude untergebracht ist. Demnach müssen zwei getrennte Gebäude geplant gewesen sein. Allerdings dürfte dies schon bald geändert worden sein, da es von Anfang an ein Komplex gewesen muss.

Für den Neubau wurden Kosten in Höhe von 50.000 Mark veranschlagt, wobei davon ausgegangen wurde, dass der Bau – soweit möglich – durch Korrigenden ausgeführt wird. Durch die Annahme dieses Antrages würde der Provinzialverwaltung ermöglicht, den ihr anvertrauten Korrigenden, die weiterhin harte Arbeit leisten müssten, eine ausreichende und deren persönliche Sicherheit gewährleistende Unterbringung zu ermöglich.

Aus dem Protokoll geht ferner hervor, dass nach den Ausführungen des „Schatzrathes“ noch über die Auswirkungen auf das Werkhaus in Moringen gesprochen wurde. Der geruckten Fassung des Protokolls wurde ein handschriftlicher Text hinzugefügt, in dem unter anderem fetgehalten wurde, dass der Provinziallandtag dem Antrag des Provinzialausschusses auf Errichtung eines Neubaues in Oerrel zugestimmt hatte. Beschlossen wurde auch die Aufnahme der Anleile sowie die dafür erforderliche Genehmigung bei der königlichen Staatsregierung einzuholen. Diese dürfte erteilt worden sein, so dass wahrscheinlich noch im Jahr 1900 mit dem Bau des Gebäudes begonnen wurde. Darüber gibt diese Akte allerdings keine Auskunft mehr. Auch nicht, was danach passierte. Sie endet mit dem Beschluss des Provinziallandtages.  
Nach der Fertigstellung wurde ein (Haus-)Verwalter für die Filial-Korrektionsanstalt in Oerrel eingestellt. Aus amtlichen Bekanntmachungen in der Böhme-Zeitung von 1903 ist dessen Name zu erfhren. Es war Ludwig (Leo) Sporleder, der von da an dafür zuständig war. Der Name Sporleder findet sich auch im Adreßbuch für den Kreis Soltau von 1910. Dort ist er unter Oerrel als Bewohner des Hauses Nummer 4 eingetragen. Allerdings sind sieben weitere Personen mit anderen Namen ebenfalls als Bewohner unter dieser Hausnummer eingetragen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn es bedeutet nicht unbedingt, dass diese mit ihren Familien tatsächlich alle in einem Haus gewohnt haben. Anders als heute waren die Hausnummer in den Dörfern nicht immer nur einem einzigen Haus zugeordnet, sondern galten für ganze Liegenschaften.

Auf den landwirtschaftlichen Höfen gab es neben dem Wohnhaus des Bauern oftmals weitere Wohnhäuser für die auf dem Hof beschäftigen Arbeiter (Häuslinge) oder auch andere Personen. Für alle diese Häuser galt dann die Hausnummer des Hofbesitzers. So war es auch bei der Korrigendenanstalt, die wurde auf dem Gelände des Hofes mit der Hausnummer 4 errichtet (siehe Tabelle unter „Vereinigung mit Kohlenbissen 1866). Da es den Hof mit der Nr. 2 mittlerweile nicht mehr gab, wurde das auf diesem Grundstück errichte Aufseherwohnhaus nun der Korrigendenanstalt zugeordnet, zu der es auch gehörte. Die verschiedenen Häuser eines Hofes konnten auch verstreut im Dorf liegen, manchmal auch außerhalb. Dennoch hatten sie alle die gleiche Hausnummer.
Im Adressbuch von 1910 finden wir neben dem Namen der Einwohner auch deren Berufe. Das ermöglicht es uns heute alle der Korrigendenanstalt zugeordneten Häuser eindeutig zuzuordnen. Neben dem Hausverwalter Sporleder sind – mit einer Ausnahme – alle anderen Personen unter der Hausnummer 4 mit der Berufsbezeichnung „Aufseher“ versehen. Nur einer ist ein Waldarbeiter. Von den acht aufgeführten Familien wohnten ganz sicher vier in dem 1887 erbauten Aufseherwohnhaus (Zur Kleinen Oertze / Im Westerfeld) wohnten. Daher müssen die anderen vier Familien in dem im Protokoll von 1886 als Forstarbeiterwohnhaus bezeichnet Gebäude gewohnt haben. Denn dieses bekam einen Anbau für eine Waldarbeiterfamilie, die laut Adreßbuch auch 1910 noch dort wohnte. Einen solchen Anbau hatte es an dem heute noch an der Kohlenbissener Straße Ecke Schweriner Straße stehende Mehrfamilien-Wohnhaus gegeben. Ab spätestens 1903 wohnte der Verwalter der Korrigendenanstalt Ludwig Sporleder sowie zwei Aufseherfamilen in diesem Haus. Nur in dem 1887 hinzugefügten Anbau wohnte noch die Waldarbeiterfamilie.

In diesem Anbau entstand 1924 der erste Lebensmittelladen in Oerrel, der von dem aus Lopau nach Oerrel gewechselten Waldarbeiter August Helms geführt wurde. August Helms war viele Jahre später bis zu seinem Tod Ende 1961 Bürgermeister des Dorfes. Den Umzug des Lebensmittelladens 1962 in das neu gebaute Geschäft an der Kohlenbissener Straße Ecke Zur Kleinen Oertze erlebte er nicht mehr. Sohn Ernst-August hatte das Geschäft übernommen und wurde auch neuer Bürgermeister.



















© Familie Helms, bei der wir uns herzlich für die Genehmigung zur Veröffentlichung bedanken
  
Text zum Bild: Das um 1920 entstandene Foto zeigt das Aufseherwohnhaus mit Nebengebäude. Der Sandweg im Vordergrund ist heute die Straße Im Westerfeld. Rechts vom Wohnhaus ist zwischen den Bäumen hindurch der der ehemalige Hof No. 1 zu sehen, der aber schon vor 1900 von der Provinzialforstverwaltung aufgekauft und als Forsthaus genutzt wurde. Dieser Hof stand am Ende der heutigen Straße Unter den Buchen.
Unter „Unser Oerrel – früher und heute“ sind noch zwei später entstandene Fotos von dem ehemaligen Aufseher-Wohnhaus.  





© Familie Lutz Helms, bei der wir uns herzlich für die Genehmigung zur Veröffentlichung bedanken.
Text zu den Bildern. Das Bild zeigt eine eventuell aus dem Jahr 1920 – wahrscheinlicher aber noch davor - stammende Postkarte, auf der das Wohnhaus an der Kohlenbissener Straße als Forsthaus bezeichnet ist. Rechts zwischen den Bäumen ist der Anbau zu erkennen, in dem ab 1924 August Helms seinen Lebensmittelladen hatte. Er wohnte mit seiner Familie in diesem Haus. Das Foto, das ihm in seinen Laden zeigt, wurde vermutlich Mitte der 1930er Jahre aufgenommen. Weitere Fotos von diesem Haus sind unter „Unser Oerrel – früher und heute“ zu finden.

Das heute noch stehende Gebäude der Korrigendenanstalt hatte eine wechselvolle Geschichte, die wir hier in einer kurzen Zusammenfassung vorstellen. Dabei beziehen wir zum Teil auch auf Informationen, die zu diesem Gebäude in den Büchern „Munster“ von Wilhelm Wolter (1972)  und von Heinrich Peters (1997) erwähnt sind.

Während das Provisorium der Korrigendenanstalt über 20 Jahre bestanden hatte, diente das dauerhaft dafür vorgesehene massive Gebäude diesem Zweck allerdings nur etwa 14 Jahre. Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs wurde es dafür nicht mehr benötigt. Nach dem Krieg - etwa ab 1920 – wurden darin Strafgefangene aus Hannover untergebracht, die ebenfalls in der Forst eingesetzt werden sollten. Als die Kosten dafür in keinem Verhältnis zum Nutzen standen, wurde das aber schnell wieder aufgegeben. 1926 übernahm die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg das Haus und brachte dort Leichtkranke unter. Die arbeiteten allerdings nicht mehr in der Forst, sondern arbeiteten in der Landwirtschaft auf dem einen noch vorbliebenen Bauernhof.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war auch diese Nutzung des Gebäudes schnell wieder vorbei. Den neuen Machthaber in Deutschland ging es nicht mehr um Fürsorge und Heilung von geistig behinderten Menschen, sondern mißbrauchten sie für menschenverachtende medizinische Versuche. Viele von ihnen wurden ermordet. In Oerrel passierte das aber nicht, denn das Gebäude blieb unbenutzt und stand wiedermal ein paar Jahre leer.

1937 übernahm es die Luftwaffe und nutzte es als Verwaltungsgebäude für die zu dieser Zeit vor den Toren Oerrels noch im Aufbau befindliche Hauptluftmunitionsanstalt. Für die war allerdings ein neues Verwaltungsgebäude innerhalb des Munitionslagers vorgesehen und befand sich später auch im Bau, wurde dann aber bis zum Ende des 2. Weltkrieges nicht mehr fertig.

Mit dem Ende des Krieges stand das Gebäude der ehemaligen Korrigendenanstalt auch wieder leer, wurde aber schon bald von der britischen Besatzungsmacht zu einem Lazarett um- und ausgebaut. Für kurze Zeit waren darin auch vorübergehend Flüchtlingsfamilien untergebracht.
Mit der Übernahme des Gebäudes durch Dr. Werner Läsker 1952 begann die Glanzzeit dieses Gebäudes als Waldklinik Oerrel. Dr. Läsker war Chirurg und hatte bald einen guten Ruf, der sich auch außerhalb von Oerrel und Munster herumsprach. In der Klinik konnten etwas 50 Patienten stationär versorgt werden. Hinzu kamen viele ambulante Behandlungen. Zu einer Zeit als es noch keinen  Rettungsdienst gab, wie wir ihn heute kennen, war die Waldklinik in Oerrel nicht nur für die Oerreler sondern auch für alle umliegenden Ortschaften ein schnell zu erreichendes Krankenhaus. Die Krankenhäuser in  Soltau und in Uelzen waren dagegen mehr als 20 Kilometer entfernt.

Die Klinik war auch ein Wirtschaftfaktor des Dorfes. Waren dort doch viele ortsansässige Frauen und auch Männer beschäftigt, wodurch Dr. Läsker über viele Jahre ein wichtiger Arbeitgeber im Dorf war. Nach zwölf Jahren übergab er aus Altersgründen die Waldklinik an Dr. Genthoff, der sie von 1964 bis 1967 führte, bevor er dann nach Munster wechselte, um dort eine chirurgische Fachklinik zu eröffnen.

Die Waldklinik wurde 1967 von Dr. Oluf Doorentz übernommen, der sie erfolgreich weiterführte. Aber nach 15 Jahren konnte er den Betrieb der Waldklinik doch doch nicht mehr fortführen, da das knapp hundertjährige Gebäude dringend saniert werden musste. Da die Kosten für die erforderlichen Renovierungs- und Sanierungsarbeiten in keinem Verhältnis zum wirtschaftlich Nutzen gestanden hätten, entschloss er sich, die Waldklinik 1982 endgültig zu schließen. Stattdessen hatte er dort, wo einst das Aufseherwohnhaus der Korrigendenanstalt gestanden hatte, ein neues Praxisgebäude mit ein paar Krankenzimmern gebaut, in dem er seine Arbeit bis zu seinem Tod Ende 1989 fortführte. Da es keinen Nachfolger gab, wurde diese Praxis für viele Jahre geschlossen. Bis erst jetzt vor wenigen Jahren seine Tochter darin eine Allgemeinmedizinische Praxis eröffnete.

Das noch als Korrigendenanstalt erbaute Gebäude der Waldklinik stand aber ab 1982 wieder einmal leer. Und diesmal für mittlerweile schon 40 Jahre, denn dabei ist es bis heute geblieben. Nur ein kleiner Teil des Hauses wird seit längerer Zeit bewohnt. Der große Rest des einst prächtigen Gebäudes ist unübersehbar dem Verfall preisgegeben. Es ist offensichtlich, dass die Tage dieses geschichtsträchtigen Hauses gezählt sind. Es wäre schade, wenn wieder mal ein historisches Gebäude in Munster für immer verschwinden würde.

Unsere kleine Bildergalerie erzählt von besseren Zeiten dieses Hauses. Das, was wir von der Waldklinik als Rückseite des Hauses oder vielleicht auch als Zugang zum Hubschrauberlandeplatz *) kennen, war ursprünglich die Vorderseite des Gebäudes gewesen. Erst ab Mitte der 1960er Jahre wurde die Hofseite zum Haupteingang. Davor war die an der Kohlenbissener Straße gelegene Seite die Hofseite gewesen. Der kleine gepflegte Park mit insgesamt drei Zufahrten ist erstmals auf einem Foto von 1967 zu sehen. Zwei der Zufahrten führten im Einbahnstraßenverkehr direkt am Eingang vorbei. An der dritten weiter rechts gelegenen Einfahrt lagen die Parkplätze. Diese Zufahrten von der Kohlenbissener Straße gab es früher nicht, weil es eben der Hinterhof des Hauses war, wo zur Zeit der Korrigendenanstalt noch die Tagesaufenthalts-Baracken für die Korrigenden und andere Gebäude standen.
*)  Der Hubschrauberlandeplatz lag gleich inter der Klinik auf einer Wiese, auf der ein großes weiß gestrichenes Holzkreuz den Landeplatz markierte. Rettungshubschrauber, wie wir sie heute kennen, gab es damals zwar noch nicht, aber manchmal wurden verunglückte Personen – oftmals auf dem Truppenübungsplatz in Munster verunglückte Soldaten - mit einem Bundeswehr-Hubschrauber in die Waldklinik nach Oerrel gebracht oder von hier in andere Krankenhäuser verlegt.

Das Eingangsportal war in den ersten Jahrzehnten auf der Seite, die wir heute als Rückseite kennen und die aufgrund der Bebauung mit Wohnhäusern nicht mehr zugänglich ist. Wie aus alten Karten und Ortsplänen hervorgeht, verlief dort ein Verbindungsweg zwischen den heutigen Straßen Unter den Buchen und Zur Kleinen Oertze. An diesem Weg lag die Korrigendenanstalt und war so für die Aufseher, die schräg gegenüber wohnten, schnell erreichbar.

Daher gibt es aus dieser Zeit auch nur ein Foto – wahrscheinlich um 1920 aufgenommen - von dieser Seite des Hauses. Von der damaligen Hofseite wurde keine Aufnahmen gemacht.


















  
  
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel
Auch auf einem Foto aus der Zeit als Verwaltungsgebäude der Luft-Muna Oerrel, stehen die fotografierten Soldaten auf dieser Seite des Gebäudes.
Und auch als es schon die Waldklinik war, blieb diese Seite zunächst noch die Haupteingangsseite. Das zeigt ein altes – wahrscheinlich Anfang der 1960er Jahre entstandenes - Postkartenmotiv der Waldklinik, denn auf der Postkarte ist diese Seite abgebildet. Vergleich wir dieses Postkartenmotiv mit dem Foto von 1920 erkennt man, dass insbesondere der Mittelteil des Gebäudes verändert wurde. Danach gab es dann aber keine baulichen Veränderungen mehr, wie ein 2022 aufgenommenes Foto dieser Gebäudeseite beweist.  
























  
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel

















 
  
  
© Ralf Quietmeyer
Es gibt ein - etwas unscharfes, Mitte der 1970er Jahre aufgenommenes - Foto aus dem Besitz der Familie Steinke, auf dem im Hintergrund sowohl das Waldklinikgebäude als auch das Vier-Familien-Wohnhaus zu sehen sind. Aufgenommen wurde es von der Salzwedeler Straße (B 71) aus.





















  
  
© Waltraud Steinke
Das erste Foto, auf dem der Haupteingang der Waldklinik an der Kohlenbissener Straße liegt, entstand 1967. Von da an ist diese Seite das Postkartenmotiv der Klinik. Übrigens: Auf dem kleinen Beet, das auf dem breiten Vorplatz zu sehen ist, wurde zur Weihnachtszeit der hell erleuchtete Weihnachtsbaum aufgestellt. Damals war es in Oerrel der einzige draußen stehende Weihnachtsbaum. So etwas gab es in privaten Vorgärten noch nicht. Dementsprechend war anfangs die Wirkung – vor allem auf die Kinder im Dorf.



















  
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel
























  
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel
1982 endete die Geschichte dieses Hauses. Sie ist zwar noch nicht zu Ende, aber ein Ende absehbar.






















  
  
© Ralf Quietmeyer
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