- Korrigendenanstalt
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Von der Korrigendenanstalt zur Waldklinik Oerrel
Die wechselvolle Geschichte eines Hauses
Zunächst müssen wir wohl den Begriff Korrigendenanstalt erklären. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das die gebräuchliche Bezeichnung für eine „Besserungsanstalt“ (das lateinische corrigere bedeutet „gerade richten oder berichtigen“). Sie dienten zur Aufnahme von „Korrigenden“ (lat. = der zu bessernde Züchtling), wozu unter anderem „Vagabunden, Trunkenbolde, Arbeitsscheue und entlassene Strafgefangene“ gezählt wurden. Dabei ging es nicht um den Strafvollzug, sondern um die Erziehung und „sittliche Besserung“. Die „Korrigenden“ sollten an eine geordnete Lebensführung gewöhnt und zur Arbeit herangezogen werden.
Quelle: Wikipedia – dort auch ausführlichere Informationen unter: Korrektionsanstalt – Wikipedia
Nun zu dem Gebäude in Oerrel, das vielen von uns eher als „Waldklink“ bekannt ist, aber ursprünglich als Korrigendenanstalt entstanden ist. Aus der im Niedersächsischen Landesarchiv in Hannover verwahrten Akte - NLA Hannover Hann. 150, Nr. 318 –, geht hervor, wann der Bau dieses Gebäudes beschlossen und die dafür erforderlichen Gelder bewilligt wurden. In dieser ab 1886 von der Provinzialverwaltung in Hannover unter Landarmen- und Korrigendenwesen / Korrektions- und Landarmenanstalt Wunstorf begonnenen Akte des Provinziallandtages betreffend den Neubau von Gebäuden in Oerrel steht aber auch, dass es die Korrigendenanstalt in Oerrel schon vor der Errichtung des Gebäudes gab.
Mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs dürfen wir aus dieser Akte Dokumente veröffentlichen.
Für alle hier mit der Quellenangabe © NLA Hannover Hann. 150, Nr. 318 versehenen Dokumente gilt daher:
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Am 29. November 1886 wurde vom
Provinzialausschuss beim Provinziallandtag eine Beschlussvorlage
eingebracht, wonach beschlossen werden möge, auf dem Forsthofe zu
Oerrel die Erbauung eines Wohnhaus für die Aufseherfamilien der
Wunstorfer Correctionsanstalt und eine Waldarbeiterwohnung
nebst Nebengebäuden auf Kosten des Landarmenverbandes zu genehmigen
und dafür 8200 Mark (…) zu bewilligen.
Aus dem Protokoll der 9. Sitzung des
20. Hannoverschen Provinziallandtages am 7. Dezember 1886 geht
hervor, dass dieser Antrag – obwohl er nicht auf der Tagesordnung
stand – verhandelt wurde. Der Referent, Schatzrath Müller,
teilte dem Landtag mit, dass von den bei der Erweiterung der
Corrections- und Landarmenanstalt in Wunstorf eingesparten
Mitteln ein Betrag in Höhe von 8.200 Mark zur Herstellung von
Aufseher- und Waldarbeiterwohnungen auf dem Forsthofe zu Oerrel,
welche als ein dringendes Bedürfnis schon lange empfunden sei, zu
verwenden.
Zu dieser Zeit – 1886 - sind in der
Korrigendenanstalt in Oerrel 100 Corrigenden untergebracht,
die zur Bewältigung der Aufforstungsarbeiten herangezogen
werden. Dafür sind sechs Aufseher notwendig, von denen drei zur
Beaufsichtigung der im Gelände arbeitenden Corrigenden eingesetzt
sind. Die anderen drei Aufseher werden für die Nachtwache oder dem
Transport zum Bahnhof Brockhöfe benötigt. Wir erfahren, dass man
damals von Oerrel aus 1 ½ Stunden bis zum Bahnhof Brockhöfe
unterwegs war. Es geht leider nicht daraus hervor, ob damit die
Strecke über die heutige B 71 oder mit der Waldbahn gemeint ist.
Die Aufseher sind bisher an
verschiedenen Orten in Oerrel, nämlich in einer so bezeichneten
„Beamtenbaracke“, in einem sehr baufälligen Haus der
Forstverwaltung und in der Schule untergebracht. Das Schulhaus von
1886 steht heute noch an der B 71. Bei der erwähnten Wohnung in der
Schule dürfte es sich nur um ein oder zwei Zimmer gehandelt haben,
die der Aufseher dort nur solange nutzen konnte, wie der Lehrer noch
nicht verheiratet war.
Die übrigen Aufseherwohnungen müssen
in einem mangelhaften baulichen Zustand gewesen sein. Da die
Wohnungen nur aus einem Zimmer und einem Schlafzimmer bestanden,
waren sie für einen verheirateten Aufseher mit Frau und Kindern
einfach zu klein.
Von den sechs in der Korrigendenanstalt
beschäftigten Aufsehern wohnte einer gar nicht in Oerrel, sondern
war in Brambostel untergebracht. Von dort war man nach Oerrel zu Fuß
eine Stunde unterwegs. Der arme Kerl musste sich täglich morgens um
5:45 Uhr auf den Weg nach Oerrel zur Arbeit machen und spät abends
ging es wieder zu Fuß zurück. Vor allem im Winter und bei
schlechtem Wetter dürfte das kein Vergnügen gewesen sein.
Außerdem war so das Aufsichtspersonal
nachts nie komplett in Oerrel vor Ort, falls mal ein Notfall
eingetreten wäre. Alles Gründe dafür, dass ein dringender Bedarf
für ein einfaches Gebäude mit vier Wohnungen bestand. Dem Antrag
war ein Plan beigefügt, der in der Archivakte aber leider nicht
enthalten ist. In dem neuen Gebäude sollen vier Wohnungen, bestehend
aus einer Stube, zwei Kammern, Küche und einem Kellerraum entstehen.
Zum Bau des Gebäudes sollte Material
aus verschiedenen abzubrechenden Gebäuden der Forstverwaltung
genutzt werden. Dadurch verlor zwar eine Waldarbeiterfamilie ihre
Wohnung, für die aber eine neue Wohnung durch einen Anbau an das
bestehende Forstarbeiterwohnhaus geschaffen werden sollte.
Dafür, dass die Forstverwaltung das
vom Abriss der alten Gebäude stammende Material, wie Holz und
Steine, zur Verfügung stellte, sollten die Kosten für den Anbau der
Waldarbeiterwohung von der Korrigendenanstalt übernommen werden. Die
Kosten des neu zu errichtenden Aufseherwohnhauses wurden
einschließlich der für das Nebengebäude auf 6600 Mark und die
Kosten für die anzubauende Waldarbeiterwohnung auf 1600 Mark
veranschlagt.
Gegengerechnet wurden die Einsparungen für die bisher
für vier Wohungen an die Forstverwaltung bzw. an den Oerreler Lehrer
zu bezahlenden Mieten von je 72 Mark = 288 Mark.
Dem Antrag stimmte der
Provinziallandtag ohne weitere Diskussion zu.
Das Aufseherwohnhaus wurde daraufhin
wie geplant dort gebaut, wo sich heute u. a. eine Arztpraxis an der
Straße Zur Kleinen Oertze befindet. Auch als es die
Korrigendenanstalt schon lange nicht mehr existierte, lebten in dem
Haus weiterhin vier Familien. Abgerissen wurde es Ende der 1970er
Jahre.
Bei dem Forstarbeiterwohnhaus, an das
die zusätzliche Waldarbeiterwohnung angebaut wurde, handelt es sich
mit großer Wahrscheinlichkeit um das heute noch vorhandene
Mehrfamilienhaus an der Kohlenbissener Straße Ecke Schweriner
Straße. Auf dieses Haus gehen wir später noch ausführlicher ein.
Doch zunächst befassen wir uns mit dem Bau des eigentlichen Gebäudes
der Korrigendenanstalt.
Am 12. Dezember 1899 beantragte der
Provinzialausschuss beim Provinziallandtag die Aufnahme einer Anleihe
zur Finanzierung verschiedener Vorhaben. In der Drucksache Nr. 16 des
33. Hannoverschen Provinziallandtages sind unter der Ziffer VI.
Korrektions- und Landarmenanstalt Wunstorf 50.000 Mark für
einen Neubau der Gebäude der Anstaltsfiliale in Oerrel
aufgeführt. Dieser Antrag wurde als erster Tagesordnungspunkt am 22.
Februar 1900, vormittags um 10 Uhr, in der achten Sitzung des 33.
Hannoverschen Provinziallandtages behandelt und von Schatzrath
Bleßmann erläutert. Die Erläuterungen beschreiben, wie die
Korrigendenanstalt in Oerrel vor 1900 aussah und wie es dort zuging.
Nachdem der Provinziallandtag
beschlossen hatte, die Aufforstungen bei Oerrel-Lintzel auf eigene
Kosten vorzunehmen, wurde in den Jahren 1878 bis 1881 die Filiale der
Korrigendenanstalt Wunstorf in Oerrel eingerichtet. Dort wurden
vorwiegend Korrigenden aus dem „Werkhause“ in Moringen zu den
Aufforstungsarbeiten herangezogen, da das Haus in Moringen überfüllt
war. Da habe die Verlegung von Korrigenden nach Oerrel sowohl für
den Landesarmenverband als auch für die Provinzialforstverwaltung
Vorteile gehabt. Dadurch gab es bei den Aufforstungen immer einen
festen Stamm an Arbeitern.
Zuerst (= 1878) waren die Korrigenden
in Oerrel in zwei alten mit Stroh gedeckten Stallgebäuden
untergebracht gewesen. Etwas später, im Jahr 1879, wurde eine neue
Baracke gebaut. In den folgenden Jahren wurden zwecks Schaffung von
Wohnungen und Wirtschaftsgebäuden zwei neue Anstaltgebäude
errichtet, wodurch insgesamt 150 Korrigenden untergebracht werden
konnten.
Allerdings war die ganze Einrichtung
nur als ein Provisorium angelegt worden, da man davon ausging, dass
die Korrigenden nur etwa fünf bis zehn Jahre für die
Aufforstungsarbeiten in Oerrel gebraucht würden. Tatsächlich hatten
die Aufforstungen mittlerweile einen größeren Umfang angenommen und
die Forstanlage Oerrel-Lintzel umfasste mittlerweile fast 19.000
Morgen (= 47,5 km²). Die ursprünglich nur für zehn Jahre
vorgesehenen Baracken wurden nun schon seit 20 Jahren benutzt, so
dass deren baulicher Zustand sehr bedenklich war. Reparaturen waren
mittlerweile unzweckmäßig, da die vorhandenen Strohdächer
aufgrund der leichten Holzwände nicht durch schwerere Ziegeldächer
ersetzt werden konnten. Daher war ein Neubau dringend notwendig, auch
um die Brandgefahr zu verringern.
Zu dieser Zeit (1900) bestand die
Absicht, dass 80 bis 100 Korrigenden dauerhaft in Oerrel bleiben
sollen, um für die fortlaufenden Arbeiten in der Forstanlage
Oerrel-Lintzel zur Verfügung zu stehen. Der Verbleib der
Korrigendenanstalt in Oerrel wurde aber auch von Seiten der
Korrigendenverwaltung gewünscht, da die schwere und im Freien
auszuführende Arbeit in der Forst von bestem Erfolge sei, um die
Korrigenden wieder zur Arbeit zu erziehen.
Der geplante Neubau soll die
provisorisch errichteten Gebäude ersetzen und eine dauerhafte
Benutzung ermöglichen. Während das Gebäude massiv errichtet und
mit einem Ziegeldach versehen sein soll, sollte die Ausstattung nur
auf das Notwendigste beschränkt werden. Daher waren im massiven
Gebäude zunächst nur die Schlafräume und die dazugehörigen
Wirtschaftsräume vorgesehen. Die in den Baracken bestehenden
Tagesräume sollten dagegen weiterhin genutzt werden. Die Neubauten
sollen aber so errichtet werden, dass später ein Flügel mit den
Tagesräumen hinzugefügt werden kann, so dass alles in einem Gebäude
untergebracht ist. Demnach müssen zwei getrennte Gebäude geplant
gewesen sein. Allerdings dürfte dies schon bald geändert worden
sein, da es von Anfang an ein Komplex gewesen muss.
Für den Neubau wurden Kosten in Höhe
von 50.000 Mark veranschlagt, wobei davon ausgegangen wurde, dass der
Bau – soweit möglich – durch Korrigenden ausgeführt wird. Durch
die Annahme dieses Antrages würde der Provinzialverwaltung
ermöglicht, den ihr anvertrauten Korrigenden, die weiterhin harte
Arbeit leisten müssten, eine ausreichende und deren persönliche
Sicherheit gewährleistende Unterbringung zu ermöglich.
Aus dem Protokoll geht ferner hervor,
dass nach den Ausführungen des „Schatzrathes“ noch über die
Auswirkungen auf das Werkhaus in Moringen gesprochen wurde. Der
geruckten Fassung des Protokolls wurde ein handschriftlicher Text
hinzugefügt, in dem unter anderem fetgehalten wurde, dass der
Provinziallandtag dem Antrag des Provinzialausschusses auf Errichtung
eines Neubaues in Oerrel zugestimmt hatte. Beschlossen wurde auch die
Aufnahme der Anleile sowie die dafür erforderliche Genehmigung bei
der königlichen Staatsregierung einzuholen. Diese dürfte erteilt
worden sein, so dass wahrscheinlich noch im Jahr 1900 mit dem Bau des
Gebäudes begonnen wurde. Darüber gibt diese Akte allerdings keine
Auskunft mehr. Auch nicht, was danach passierte. Sie endet mit dem
Beschluss des Provinziallandtages.
Nach der Fertigstellung wurde ein
(Haus-)Verwalter für die Filial-Korrektionsanstalt in Oerrel
eingestellt. Aus amtlichen Bekanntmachungen in der Böhme-Zeitung von
1903 ist dessen Name zu erfhren. Es war Ludwig (Leo) Sporleder, der
von da an dafür zuständig war. Der Name Sporleder findet sich auch
im Adreßbuch für den Kreis Soltau von 1910. Dort ist er unter
Oerrel als Bewohner des Hauses Nummer 4 eingetragen. Allerdings sind
sieben weitere Personen mit anderen Namen ebenfalls als Bewohner
unter dieser Hausnummer eingetragen. Das ist nicht weiter
verwunderlich, denn es bedeutet nicht unbedingt, dass diese mit ihren
Familien tatsächlich alle in einem Haus gewohnt haben. Anders als
heute waren die Hausnummer in den Dörfern nicht immer nur einem
einzigen Haus zugeordnet, sondern galten für ganze Liegenschaften.
Auf den landwirtschaftlichen Höfen gab
es neben dem Wohnhaus des Bauern oftmals weitere Wohnhäuser für die
auf dem Hof beschäftigen Arbeiter (Häuslinge) oder auch andere
Personen. Für alle diese Häuser galt dann die Hausnummer des
Hofbesitzers. So war es auch bei der Korrigendenanstalt, die wurde
auf dem Gelände des Hofes mit der Hausnummer 4 errichtet (siehe
Tabelle unter „Vereinigung mit Kohlenbissen 1866). Da es den Hof
mit der Nr. 2 mittlerweile nicht mehr gab, wurde das auf diesem
Grundstück errichte Aufseherwohnhaus nun der Korrigendenanstalt
zugeordnet, zu der es auch gehörte. Die verschiedenen Häuser eines
Hofes konnten auch verstreut im Dorf liegen, manchmal auch außerhalb.
Dennoch hatten sie alle die gleiche Hausnummer.
Im Adressbuch von 1910 finden wir neben
dem Namen der Einwohner auch deren Berufe. Das ermöglicht es uns
heute alle der Korrigendenanstalt zugeordneten Häuser eindeutig
zuzuordnen. Neben dem Hausverwalter Sporleder sind – mit einer
Ausnahme – alle anderen Personen unter der Hausnummer 4 mit der
Berufsbezeichnung „Aufseher“ versehen. Nur einer ist ein
Waldarbeiter. Von den acht aufgeführten Familien wohnten ganz sicher
vier in dem 1887 erbauten Aufseherwohnhaus (Zur Kleinen Oertze / Im
Westerfeld) wohnten. Daher müssen die anderen vier Familien in dem
im Protokoll von 1886 als Forstarbeiterwohnhaus bezeichnet Gebäude
gewohnt haben. Denn dieses bekam einen Anbau für eine
Waldarbeiterfamilie, die laut Adreßbuch auch 1910 noch dort wohnte.
Einen solchen Anbau hatte es an dem heute noch an der Kohlenbissener
Straße Ecke Schweriner Straße stehende Mehrfamilien-Wohnhaus
gegeben. Ab spätestens 1903 wohnte der Verwalter der
Korrigendenanstalt Ludwig Sporleder sowie zwei Aufseherfamilen in
diesem Haus. Nur in dem 1887 hinzugefügten Anbau wohnte noch die
Waldarbeiterfamilie.
In diesem Anbau entstand 1924 der erste
Lebensmittelladen in Oerrel, der von dem aus Lopau nach Oerrel
gewechselten Waldarbeiter August Helms geführt wurde. August Helms
war viele Jahre später bis zu seinem Tod Ende 1961 Bürgermeister
des Dorfes. Den Umzug des Lebensmittelladens 1962 in das neu gebaute
Geschäft an der Kohlenbissener Straße Ecke Zur Kleinen Oertze
erlebte er nicht mehr. Sohn Ernst-August hatte das Geschäft
übernommen und wurde auch neuer Bürgermeister.
© Familie Helms, bei der wir uns herzlich für die Genehmigung zur Veröffentlichung bedanken
Text zum Bild: Das um 1920 entstandene Foto zeigt das Aufseherwohnhaus mit Nebengebäude. Der Sandweg im Vordergrund ist heute die Straße Im Westerfeld. Rechts vom Wohnhaus ist zwischen den Bäumen hindurch der der ehemalige Hof No. 1 zu sehen, der aber schon vor 1900 von der Provinzialforstverwaltung aufgekauft und als Forsthaus genutzt wurde. Dieser Hof stand am Ende der heutigen Straße Unter den Buchen.
Unter „Unser Oerrel – früher und heute“ sind noch zwei später entstandene Fotos von dem ehemaligen Aufseher-Wohnhaus.
© Familie Lutz Helms, bei der wir uns herzlich für die Genehmigung zur Veröffentlichung bedanken.
Text zu den Bildern. Das Bild zeigt
eine eventuell aus dem Jahr 1920 – wahrscheinlicher aber noch davor
- stammende Postkarte, auf der das Wohnhaus an der Kohlenbissener
Straße als Forsthaus bezeichnet ist. Rechts zwischen den Bäumen ist
der Anbau zu erkennen, in dem ab 1924 August Helms seinen
Lebensmittelladen hatte. Er wohnte mit seiner Familie in diesem Haus.
Das Foto, das ihm in seinen Laden zeigt, wurde vermutlich Mitte der
1930er Jahre aufgenommen. Weitere Fotos von diesem Haus sind unter
„Unser Oerrel – früher und heute“ zu finden.
Das heute noch stehende Gebäude der
Korrigendenanstalt hatte eine wechselvolle Geschichte, die wir
hier in einer kurzen Zusammenfassung vorstellen. Dabei beziehen wir
zum Teil auch auf Informationen, die zu diesem Gebäude in den
Büchern „Munster“ von Wilhelm Wolter (1972) und von Heinrich
Peters (1997) erwähnt sind.
Während das Provisorium der
Korrigendenanstalt über 20 Jahre bestanden hatte, diente das
dauerhaft dafür vorgesehene massive Gebäude diesem Zweck allerdings
nur etwa 14 Jahre. Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs wurde es dafür
nicht mehr benötigt. Nach dem Krieg - etwa ab 1920 – wurden darin
Strafgefangene aus Hannover untergebracht, die ebenfalls in der Forst
eingesetzt werden sollten. Als die Kosten dafür in keinem Verhältnis
zum Nutzen standen, wurde das aber schnell wieder aufgegeben. 1926
übernahm die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg das Haus und brachte
dort Leichtkranke unter. Die arbeiteten allerdings nicht mehr in der
Forst, sondern arbeiteten in der Landwirtschaft auf dem einen noch
vorbliebenen Bauernhof.
Mit der Machtübernahme der
Nationalsozialisten 1933 war auch diese Nutzung des Gebäudes schnell
wieder vorbei. Den neuen Machthaber in Deutschland ging es nicht mehr
um Fürsorge und Heilung von geistig behinderten Menschen, sondern
mißbrauchten sie für menschenverachtende medizinische Versuche.
Viele von ihnen wurden ermordet. In Oerrel passierte das aber nicht,
denn das Gebäude blieb unbenutzt und stand wiedermal ein paar Jahre
leer.
1937 übernahm es die Luftwaffe und
nutzte es als Verwaltungsgebäude für die zu dieser Zeit vor den
Toren Oerrels noch im Aufbau befindliche Hauptluftmunitionsanstalt.
Für die war allerdings ein neues Verwaltungsgebäude innerhalb des
Munitionslagers vorgesehen und befand sich später auch im Bau, wurde
dann aber bis zum Ende des 2. Weltkrieges nicht mehr fertig.
Mit dem Ende des Krieges stand das
Gebäude der ehemaligen Korrigendenanstalt auch wieder leer, wurde
aber schon bald von der britischen Besatzungsmacht zu einem Lazarett
um- und ausgebaut. Für kurze Zeit waren darin auch vorübergehend
Flüchtlingsfamilien untergebracht.
Mit der Übernahme des Gebäudes durch
Dr. Werner Läsker 1952 begann die Glanzzeit dieses Gebäudes als
Waldklinik Oerrel. Dr. Läsker war Chirurg und hatte bald einen guten
Ruf, der sich auch außerhalb von Oerrel und Munster herumsprach. In
der Klinik konnten etwas 50 Patienten stationär versorgt werden.
Hinzu kamen viele ambulante Behandlungen. Zu einer Zeit als es noch
keinen Rettungsdienst gab, wie wir ihn heute kennen, war die
Waldklinik in Oerrel nicht nur für die Oerreler sondern auch für
alle umliegenden Ortschaften ein schnell zu erreichendes Krankenhaus.
Die Krankenhäuser in Soltau und in Uelzen waren dagegen mehr als 20
Kilometer entfernt.
Die Klinik war auch ein
Wirtschaftfaktor des Dorfes. Waren dort doch viele ortsansässige
Frauen und auch Männer beschäftigt, wodurch Dr. Läsker über viele
Jahre ein wichtiger Arbeitgeber im Dorf war. Nach zwölf Jahren
übergab er aus Altersgründen die Waldklinik an Dr. Genthoff, der
sie von 1964 bis 1967 führte, bevor er dann nach Munster wechselte,
um dort eine chirurgische Fachklinik zu eröffnen.
Die Waldklinik wurde 1967 von Dr. Oluf
Doorentz übernommen, der sie erfolgreich weiterführte. Aber nach 15
Jahren konnte er den Betrieb der Waldklinik doch doch nicht mehr
fortführen, da das knapp hundertjährige Gebäude dringend saniert
werden musste. Da die Kosten für die erforderlichen Renovierungs-
und Sanierungsarbeiten in keinem Verhältnis zum wirtschaftlich
Nutzen gestanden hätten, entschloss er sich, die Waldklinik 1982
endgültig zu schließen. Stattdessen hatte er dort, wo einst das
Aufseherwohnhaus der Korrigendenanstalt gestanden hatte, ein neues
Praxisgebäude mit ein paar Krankenzimmern gebaut, in dem er seine
Arbeit bis zu seinem Tod Ende 1989 fortführte. Da es keinen
Nachfolger gab, wurde diese Praxis für viele Jahre geschlossen. Bis
erst jetzt vor wenigen Jahren seine Tochter darin eine
Allgemeinmedizinische Praxis eröffnete.
Das noch als Korrigendenanstalt erbaute
Gebäude der Waldklinik stand aber ab 1982 wieder einmal leer. Und
diesmal für mittlerweile schon 40 Jahre, denn dabei ist es bis heute
geblieben. Nur ein kleiner Teil des Hauses wird seit längerer Zeit
bewohnt. Der große Rest des einst prächtigen Gebäudes ist
unübersehbar dem Verfall preisgegeben. Es ist offensichtlich, dass
die Tage dieses geschichtsträchtigen Hauses gezählt sind. Es wäre
schade, wenn wieder mal ein historisches Gebäude in Munster für
immer verschwinden würde.
Unsere kleine Bildergalerie erzählt
von besseren Zeiten dieses Hauses. Das, was wir von der Waldklinik
als Rückseite des Hauses oder vielleicht auch als Zugang zum
Hubschrauberlandeplatz *) kennen, war ursprünglich die
Vorderseite des Gebäudes gewesen. Erst ab Mitte der 1960er Jahre
wurde die Hofseite zum Haupteingang. Davor war die an der
Kohlenbissener Straße gelegene Seite die Hofseite gewesen. Der
kleine gepflegte Park mit insgesamt drei Zufahrten ist erstmals auf
einem Foto von 1967 zu sehen. Zwei der Zufahrten führten im
Einbahnstraßenverkehr direkt am Eingang vorbei. An der dritten
weiter rechts gelegenen Einfahrt lagen die Parkplätze. Diese
Zufahrten von der Kohlenbissener Straße gab es früher nicht, weil
es eben der Hinterhof des Hauses war, wo zur Zeit der
Korrigendenanstalt noch die Tagesaufenthalts-Baracken für die
Korrigenden und andere Gebäude standen.
*) Der
Hubschrauberlandeplatz lag gleich inter der Klinik auf einer Wiese,
auf der ein großes weiß gestrichenes Holzkreuz den Landeplatz
markierte. Rettungshubschrauber, wie wir sie heute kennen, gab es
damals zwar noch nicht, aber manchmal wurden verunglückte Personen –
oftmals auf dem Truppenübungsplatz in Munster verunglückte Soldaten
- mit einem Bundeswehr-Hubschrauber in die Waldklinik nach Oerrel
gebracht oder von hier in andere Krankenhäuser verlegt.
Das Eingangsportal war in den ersten
Jahrzehnten auf der Seite, die wir heute als Rückseite kennen und
die aufgrund der Bebauung mit Wohnhäusern nicht mehr zugänglich
ist. Wie aus alten Karten und Ortsplänen hervorgeht, verlief dort
ein Verbindungsweg zwischen den heutigen Straßen Unter den Buchen
und Zur Kleinen Oertze. An diesem Weg lag die Korrigendenanstalt und
war so für die Aufseher, die schräg gegenüber wohnten, schnell
erreichbar.
Daher gibt es aus dieser Zeit auch nur
ein Foto – wahrscheinlich um 1920 aufgenommen - von dieser Seite
des Hauses. Von der damaligen Hofseite wurde keine Aufnahmen gemacht.
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel
Auch auf einem Foto aus der Zeit als
Verwaltungsgebäude der Luft-Muna Oerrel, stehen die fotografierten
Soldaten auf dieser Seite des Gebäudes.
Und auch als es schon die Waldklinik
war, blieb diese Seite zunächst noch die Haupteingangsseite. Das
zeigt ein altes – wahrscheinlich Anfang der 1960er Jahre
entstandenes - Postkartenmotiv der Waldklinik, denn auf der Postkarte
ist diese Seite abgebildet. Vergleich wir dieses Postkartenmotiv mit
dem Foto von 1920 erkennt man, dass insbesondere der Mittelteil des
Gebäudes verändert wurde. Danach gab es dann aber keine baulichen
Veränderungen mehr, wie ein 2022 aufgenommenes Foto dieser
Gebäudeseite beweist.
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel
© Ralf Quietmeyer
Es gibt ein - etwas unscharfes, Mitte
der 1970er Jahre aufgenommenes - Foto aus dem Besitz der Familie
Steinke, auf dem im Hintergrund sowohl das Waldklinikgebäude als
auch das Vier-Familien-Wohnhaus zu sehen sind. Aufgenommen wurde es
von der Salzwedeler Straße (B 71) aus.
© Waltraud Steinke
Das erste Foto, auf dem der
Haupteingang der Waldklinik an der Kohlenbissener Straße liegt,
entstand 1967. Von da an ist diese Seite das Postkartenmotiv der
Klinik. Übrigens: Auf dem kleinen Beet, das auf dem breiten Vorplatz
zu sehen ist, wurde zur Weihnachtszeit der hell erleuchtete
Weihnachtsbaum aufgestellt. Damals war es in Oerrel der einzige
draußen stehende Weihnachtsbaum. So etwas gab es in privaten
Vorgärten noch nicht. Dementsprechend war anfangs die Wirkung –
vor allem auf die Kinder im Dorf.
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel
© Freiwillige Feuerwehr Oerrel
1982 endete die Geschichte dieses
Hauses. Sie ist zwar noch nicht zu Ende, aber ein Ende absehbar.
© Ralf Quietmeyer